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Donnerstag, 21. November 2013

Martin Walser liest im Literaturhaus aus seinem neuesten Roman: "Die Inszenierung"

Martin Walser und Thea Dorn im Gespräch
Martin Walser - 86 Jahre alt - betritt vorsichtig die Bühne im Literaturhaus und versprüht fast augenblicklich Charme und Witz. Im Gespräch mit der Schriftstellerin und Dramaturgin Thea Dorn erzählt er mit einem Augenzwinkern, dass er sich früher immer gefragt habe, warum Heinrich Böll noch so lange an Lesungen teilgenommen habe, da er diese seiner Meinung nach doch gar nicht mehr nötig gehabt hätte. Auf die Frage der Moderatorin, ob er in seinem aktuellen Buch die Notwendigkeit verspürt hätte, die Liebe nun tatsächlich vollziehen, statt sie - wie in seinem letzten Werk "Das dreizehnte Kapitel" - nur in Briefen äußern zu lassen, erwiderte der Autor schmunzelnd, er wisse nun gar nicht, was er darauf antworten solle. Seine Figuren kämen zu ihm; nur dieses Mal hätten sie das Wort ergriffen und ihn als Erzähler komplett ausgeschaltet - ihm wäre nichts anderes übrig geblieben als aufzuschreiben, was sie sich zu erzählen hätten. In Walsers neuestem Buch geht es um den Theaterregisseur Augustus Baum, der mitten in einer Inszenierung der "Möwe" von Anton Tschechow zusammenbricht und wegen eines leichten Schlaganfalls ins Krankenhaus gebracht wird. Dort verliebt er sich in die Nachtschwester Ute-Marie, beginnt ein Verhältnis mit ihr und gesteht es schließlich seiner Frau Gerda, einer Ärztin. Für sie ist Ute-Marie nur eine weitere Affäre, die sich nahtlos in die Serie ihrer Vorgängerinnen Britta, Carla und Lavinia einreiht und die sie zu seinen "Immunschwächen der Seele" zählt, da er für jede seiner Inszenierungen eine inspirierende Affäre brauche. Die zwei Kapitel, die Walser vorliest, beziehen sich auf Gespräche im Krankenhaus, die Augustus Baum mit Ute-Marie und seiner Frau Gerda führt. Dabei versucht Baum seine Frau zu überzeugen, sich von seinem "Gefühl der Umarmungsstärke" mitreißen zu lassen. Sie solle sich nicht gegen die "Zärtlichkeitsfülle" wehren, die der Name "Ute-Marie Wiese" in sich berge. Wenn er glücklich sei, könne er nämlich auch sie - seine Frau - glücklich machen. Wenn er unglücklich sei, würde ihm dies sicherlich nicht gelingen. Baum wehrt sich heftig gegen das "Moralmilieu" seines Sohnes, der mehrere Kinder aus verschiedenen Ehen habe und es immer rechtzeitig und ordentlich geschafft habe, geschieden zu werden.
Martin Walser beim Signieren der Bücher
Im Anschluss an die Lesung betont Walser, dass er einen Roman schreiben wollte, in dem alle drei Hauptfiguren Recht hätten - die Figuren sollten im Gleichgewicht sein. Er wollte keine Figur zu kurz kommen lassen oder so darstellen, dass man von Anfang an für oder gegen sie Partei ergreift. Dass das nicht alle Leser so empfinden würden, wüsste er - das würden manche Briefe bezeugen, die er erhalte. Den Schluss seines Romans habe er bewusst wie ein Spiel und jenseits jeder Bestrafungsmoral - wie sie in den Romanen Madame Bovary, Anna Karenina, Stella u.a. vorkomme, in denen die Autoren die Ehebrecherinnen Selbstmord begehen lassen - gestaltet. Augustus Baum schießt nach einem emotionalen Monolog über Frauen, in dem er "Sachen über Frauen sagt, die gesagt werden müssen" (Martin Walser) in die Luft und legt sich mit den Schlussworten: "Feiere du das Unglücksglück!" auf den Boden. Der Autor lässt das Buch da aufhören, wo er "glaubt, bleiben zu können". Sein Held habe sich zu dem "Unglücksglück" durchgelebt, und das sei gar nicht so schlecht, fügt er schmunzelnd als Abschluss hinzu. Martin Walser überzeugte mit Witz, Schlagfertigkeit und Offenheit. Ein toller Abend in gelöster Atmosphäre!
Martin Walser: "Die Inszenierung", erschienen im August 2013 im Rowohlt Verlag

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