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Montag, 9. Dezember 2013

"Die Ratten" nach Gerhart Hauptmann im RESIDENZTHEATER

Das von Gerhart Hauptmann 1910 geschriebene und 1911 uraufgeführte Stück "Die Ratten" wird in München unter der Regie von Yannis Houvardas (der bisherige Künstlerische Direktor des Athener Nationaltheaters) das erste Mal nach über dreißig Jahren wieder gespielt. Der Lehrer, der Hauptmann in seiner Jugend im Dachgeschoss einer umgebauten Kaserne Schauspielunterricht gab und mit dem er sich heftige Streitgespräche lieferte, inspirierte ihn zur Figur des Theaterdirektors Hassenreuter. Dieser hat sich auf dem Dachboden eines Berliner Mietshauses einen Theaterfundus eingerichtet und muss - nach jahrelanger Theaterarbeit in der Provinz - nun seine Familie als Schauspiellehrer und Kostümverleiher durchbringen. Frau John, Mieterin in diesem Haus, hält den Theaterfundus in Ordnung und trifft sich hier mit dem polnischen hochschwangeren Dienstmädchen Piperkarcka, das ihr - von ihrem Verlobten und ihren Eltern verstoßen - ihr Leid klagt. Da sie ihren kleinen Sohn Adalbert vor drei Jahren einige Tage nach der Geburt verloren hat, heckt sie einen Plan aus und versucht mit allen Mitteln, das Dienstmädchen zu überreden, ihr das Kind zu überlassen. So hofft sie ihre Ehe mit dem Maurerpolier John zu retten, der fast die ganze Woche auswärts arbeitet. Der Plan geht auf und es gelingt Frau John, ihren Mann, ihre Bekannten sowie ihren Arbeitgeber hinters Licht zu führen. Das Dienstmädchen jedoch bereut alsbald den Handel und nimmt verzweifelt Kontakt mit Frau John auf. Diese sieht ihr neues Glück bedroht, wird handgreiflich und überredet schließlich ihren kleinkriminellen Bruder Bruno, das Mädchen einzuschüchtern. Währenddessen geht es auch im Hause des Theaterdirektors drunter und drüber. Seine Tochter Walburga, die sich im Theaterfundus mit ihrem Angebeteten, dem Theologen Erich Spitta, heimlich treffen möchte, entdeckt ihren Vater beim ebenfalls heimlichen Techtelmechtel mit der Schauspielerin Alice. Sie versteckt sich und Erich trifft völlig überraschend auf den Theaterdirektor. Da er Schauspieler werden möchte, nutzt er die Gelegenheit gleich zum Vorsprechen und liefert sich Streitgespräche mit Hassenreuter, der sich nun quasi als Zuschauer mit Alice und seiner Tochter in die erste Reihe im Parkett setzt. In ihrem Wettstreit fragen sich sowohl Hassenreuter als auch Spitta gegenseitig, ob sie sich denn so ein Stück, das das Schicksal und die Verwicklungen von einfachen Leuten, wie z.B. von Frau John in Szene setzt, hätten ausdenken können. Von hier an scheint es fast, als würden die beiden - Spitta sitzt nun ebenfalls im Zuschauerraum - das weitere Schicksal von Frau John und den anderen Beteiligten, das an dieser Stelle nicht weiter verraten werden soll, "inszenieren". Frau John, ihre asoziale Nachbarin Knobbe sowie deren Tochter wohnen jeweils in "Käfigen", was die Enge und Ausweglosigkeit ihrer Situation gut veranschaulicht. Ihre Distanz zur bürgerlichen Mittelschicht, die durch die Familie Hassenreuter sowie Erich Spitta dargestellt wird, zeigt sich auch in der Sprache: während letztere hochdeutsch sprechen, sprechen Frau John, ihr Mann und ihre Nachbarn einen Berliner Kunst-Dialekt (der teilweise leider schwer verständlich ist). Michael Gumpinger begleitet das Theaterstück am Klavier im Aufzug eines kleinen Jungen in kurzer Hose sowie mit einer dauerlächelnden Gesichtsmaske, die so gar nicht zu den tragischen Ereignissen des Stücks passt. Eine interessante Intervention, die eine gewisse Distanz zu den Geschehnissen auf der Bühne auftreten lässt. Insgesamt ein sehr gelungener Abend mit wunderbaren und sehr intensiv spielenden Schauspielern! Besonders Valery Tscheplanowa, in der Rolle der Frau John, soll hier besonders erwähnt werden.

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